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Yoga – vom spirituellen Weg zur Lifestyle-Gymnastik?

Warum so viele glauben, Yoga wäre Turnen in Leggings – und was ursprünglich dahintersteckt.

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber bei dem Wort Yoga sehe ich auf Instagram oft durchgestylte Frauen (manchmal auch Männer), die mit ernstem Blick ihre Zehen hinter dem Kopf verknoten – wahlweise am Strand, auf dem SUP-Board oder auf einem perfekt eingerichteten Studio-Boden mit viel Pflanzen-Deko. Und während ich mich frage, wie man in dieser Haltung eigentlich noch atmen kann, fällt mir auf: Mit Yoga im ursprünglichen Sinne hat das herzlich wenig zu tun.

Die Ursprünge des Yoga – ein Weg zur Befreiung

In seinen Wurzeln ist Yoga ein spiritueller Pfad. Das Wort selbst kommt aus dem Sanskrit „yuj“, was so viel heißt wie verbinden, vereinigen. Gemeint ist die Verbindung von Körper, Geist und Seele – und letztlich die Rückverbindung zum Ursprung allen Seins.

 

Die klassischen Yoga-Schriften wie die Yoga-Sutras des Patanjali (entstanden vermutlich um 200 v. Chr.) beschreiben acht Stufen des Yoga (Ashtanga), von ethischer Lebensweise über Atemübungen und Meditation bis hin zur vollständigen Versenkung (Samadhi). Körperübungen (Asanas) sind darin nur ein kleiner Teil – und vor allem dazu gedacht, den Körper stabil und aufrecht zu halten, um meditieren zu können. Mehr nicht.

 

Meditation war also nie das Add-on – sie war das Ziel.

Von Indien in die Welt – wie Yoga westlich wurde

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert kam Yoga durch reisende Gelehrte wie Swami Vivekananda oder Paramahansa Yogananda langsam in den Westen. Doch erst ab den 1950er- und 60er-Jahren gewann es an Bedeutung – vor allem im Kontext der Gegenkultur, der Hippie-Bewegung und des aufkommenden Interesses an östlicher Philosophie.

 

Maharishi Mahesh Yogi brachte die Transzendentale Meditation in den Westen und hatte prominente Anhänger wie die Beatles. Doch auch er betonte die geistige Praxis – nicht das Stretching.

USA, 1980er & 90er: Vom spirituellen Pfad zur Fitnesswelle

Ab den 1980er-Jahren veränderte sich das Bild von Yoga massiv – vor allem in den USA. Mit dem Aufkommen der Fitnessbewegung, Aerobic, Jane Fonda-Videos und dem neuen Schönheitsideal wurde der Körperkult zur Leitkultur. Und Yoga? Wurde plötzlich körperbetonter, dynamischer – und fotogener. Das war genau meine Zeit! Die 80-er...😉

 

Besonders der sogenannte Power Yoga, inspiriert von Ashtanga Yoga, wurde in Fitnessstudios populär. Namen wie Bryan Kest oder Beryl Bender Birch machten aus dem spirituellen Weg ein Workout. Begriffe wie „Hot Yoga“, „Vinyasa Flow“ oder später „Bikram Yoga“ (entwickelt von Bikram Choudhury – nicht ganz unumstritten...) tauchten auf.

 

Zertifizierte Yogalehrer schossen wie Pilze aus dem Boden.

 

Und der Trend schwappte weiter – erst nach Kanada, dann Europa. In den 1990ern galt Yoga plötzlich als Lifestyle-Accessoire. Madonna machte Headstand im Musikvideo. Gwyneth Paltrow gründete „Goop“ und postete ihre liebsten Chakren-Reiniger. Und spätestens da begann der Hype.

Heute: Yoga für alle – oder alles für die Yoga-Industrie?

Heute gibt es gefühlt in jedem zweiten Café ein Schild mit „Yoga & Brunch“, Yoga im Park, Yoga mit Baby, Yoga mit Ziegen (kein Witz) – und ja: auch Bier-Yoga. In Berlin, London und New York werden Yoga-Stunden angeboten, in denen während oder nach der Praxis Bier getrunken wird. Ich persönlich bleib da lieber beim Kräutertee...😉

(nichts gegen ein Bierchen... aber ohne Yoga! 😉)

 

Was ursprünglich ein innerer Weg war, ist in vielen Fällen zur äußeren Show geworden. Und ja – das darf man kritisch sehen.

 

Aber: Nicht alles ist schlecht an der Popularität. Yoga hat dadurch Millionen Menschen erreicht, viele haben über die körperliche Praxis einen Zugang zu Achtsamkeit und innerer Ruhe gefunden – auch wenn sie anfangs vielleicht nur Rückenschmerzen loswerden wollten.

Was ist eigentlich noch echtes Yoga?

Tatsächlich gibt es auch heute noch Lehrer und Traditionen, die den ganzheitlichen Weg des Yoga bewahren. Etwa die Sivananda-Schulen, die Iyengar-Tradition oder auch Integrale Yoga-Angebote, bei denen Ethik, Ernährung, Atem und Meditation dazugehören.

 

Ein zentraler Punkt ist dabei nach wie vor: Meditation ist Herzstück des Yoga. Sie ist das, worauf alles hinausläuft – nicht nur der "Spagat". In der Meditation wird der Geist ruhig. Es geht um Beobachtung, um Nicht-Identifikation mit Gedanken, um echtes Ankommen im Hier und Jetzt.

Mein persönlicher Zugang

Ich selbst habe keine Yogalehrerausbildung und kann auch nicht mit akrobatischen Asanas glänzen. Mein Zugang war und ist ein anderer: einfaches, aufrechtes Sitzen, die Augen halb geöffnet, der Blick weich nach unten gerichtet – und das bewusste Zählen der Atemzüge. Nicht mehr, nicht weniger.

 

Wenn ich beim fünften Ausatmen abgelenkt bin, beginne ich wieder bei eins. Es ist ein stilles, unspektakuläres Üben – aber gerade darin liegt für mich seine Kraft. Ich kenne Menschen, die scheinbar "ihr ganzes Leben meditieren", aber immer noch gereizt und unachtsam durchs Leben gehen. Von innerer Ruhe oder Klarheit keine Spur. Meditieren die falsch? Vielleicht. Vielleicht benutzen sie Meditation nur als weiteres Tool zur Selbstoptimierung oder zur Flucht vor sich selbst. Oder sie nutzen sie gar nicht bewusst, sondern als eine Art Pflichtübung.

 

Meditation ist kein Wettbewerb. Kein „Ich-muss-jeden-Tag-20-Minuten-schaffen“-Marathon. Sie beginnt dort, wo du dich aufrichtig mit dir selbst einlässt. Wo du still wirst. Wo du dich selbst spürst, ohne Drama, ohne Bewertung. Genau dort beginnt für mich der eigentliche Yogaweg.

 

Was ich damit sagen will: Nicht jede Form der Praxis bewirkt automatisch eine Veränderung - entscheided ist die innere Haltung. Ob beim Yoga oder beim Meditieren.

Und jeder darf natürlich nach seiner Façon selig werden! 😉

Zurück zur Essenz? Was wir vom traditionellen Yoga lernen können

Vielleicht ist es an der Zeit, uns wieder zu fragen, wofür wir eigentlich Yoga machen. Wollen wir uns verrenken – oder uns verbinden? Möchten wir fitter werden – oder freier im Geist?

Und frage dich ganz konkret: - Worum geht es mir gerade wirklich? - Wie fühlt sich das in meinem Inneren an – nicht nur im Körper? - Wo bin ich gerade mit meiner Aufmerksamkeit?

 

Wenn du wirklich erfahren willst, was Yoga ist, brauchst du keine Designer-Matte und keinen Retreat auf Bali. Es reicht ein aufrechter Sitz. Und die Bereitschaft, dich auf dich selbst einzulassen.

 

Ich bin keine Indologin, aber ich glaube: Der Yoga-Weg hat in seiner ursprünglichen Form eine Tiefe, die uns gerade in dieser hektischen, überladenen Zeit guttun kann. Das bedeutet nicht, dass du auf körperliche Übungen verzichten solltest. Aber es heißt, dass Yoga viel mehr sein darf als nur „bewegtes Stretching mit Gongschlag“.

 

Denn wie es im Bhagavad Gita, einer der wichtigsten Schriften des Yoga, heißt:

 

„Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen im Geist.“

Und das – gelingt manchmal schon beim ersten bewussten Ausatmen.

Indisches Yoga vs. westliches Yoga – die wichtigsten Unterschiede

Yoga blickt auf über 5.000 Jahre Geschichte zurück und zielt ursprünglich auf die Verbindung von Körper, Geist und Seele. Doch wie wird Yoga in Indien gelehrt – und wie unterscheidet sich das von dem, was wir hier im Westen oft als „Yoga“ verstehen? Eine Übersicht...

1. Lernumgebung: Ashram vs. Studio

  • In Indien findet Yoga häufig in Ashrams in der Natur statt – einfache Unterkünfte, zurückgezogenes Leben, Tagesablauf ganz auf Yoga, Meditation und Studium ausgerichtet.

  • Im Westen dominieren moderne Yoga-Studios mit Glaswänden, Klimaanlage, Parketikette und Buchungssystemen.

 

2. Spiritualität als Fundament (Indien) vs. Fitness als Fokus (Westen)

  • Indisches Yoga beruht auf tiefer Spiritualität. Es ist eine ganzheitliche Lebenseinstellung: Meditation, ethische Prinzipien, Sattvic-Ernährung (pflanzlich, bewusst), asketische Haltung soweit gewünscht.

  • Westliches Yoga ist zumeist ein körperzentriertes Training: Entspannung, Flexibilität, körperliches Wohlbefinden – Meditation und Ethik oft nur optional oder gar weggelassen.

3. Lehrer-Schüler-Beziehung: Guru vs. Trainer

  • In Indien wird der Yogalehrer als spiritueller Mentor geschätzt, manchmal sogar als göttliche Inspiration. Schüler zeigen Respekt und folgen langfristiger Begleitung.

  • Im Westen agiert der Lehrer oft wie ein Fitnesscoach: kurzfristig zertifiziert, wechselnde Kunden, Fokus auf Technik statt innerer Entwicklung.


4. Körperliche Praxis: Atem & Meditation vs. Flow & Geschwindigkeit

  • Indisches Yoga legt großen Wert auf langsamem Einstieg, längeres Halten von Asanas, tiefe Atmung und innere Sammlung. Meditation ist fester Bestandteil.

  • Westliches Yoga zeigt oft dynamische Flows (Vinyasa, Power Yoga), schnelle Übergänge, sportlichen Anspruch – Meditation kommt hinterher, wenn überhaupt.

 

5. Ernährung & Lebensstil

  • In Indien gehört ein Sattvic-Lebensstil (bewusste, pflanzliche Ernährung, Achtsamkeit beim Essen) zur Praxis dazu.

  • Im Westen gibt es keine Vorgaben: Ernährung individuell, oft kein spiritueller Kontext. Yoga bleibt meist isoliert von Ernährung oder Alltagshaltungen.

 

6. Dauerhaftigkeit: Unterricht ist Lebensweg

  • Traditionelle Yogis widmen Jahre dem Lernen – oft ohne Zertifikat, sondern durch direkte Weitergabe des Lehrers. Lernen ist nie abgeschlossen.

  • Westliche Lehrer-Ausbildungen können bereits in Wochen abgeschlossen werden (z. B. „200‑h Yoga Teacher Training“). Schnelle Kurse, schneller Einstieg, schnelle Ausgabe von Zertifikaten.

 

7. Minimalismus vs. Konsumkultur

  • Indisches Yoga bevorzugt Einfachheit und Zurückgezogenheit, Minimalismus und inneren Fokus.

  • Westliches Yoga produziert Accessoires, Markenmode, Instagram-Studios, Luxus-Retreats – oft mit starker Inszenierung und monetärem Fokus.

8. Stilvielfalt: Einheit vs. Pluralität

  • Indien nutzt klassische Wege wie Hatha, Raja, Kundalini, Ashtanga – mit klarer Linie, tiefem Hintergrund.

  • Der Westen entwickelt unzählige Hybride: Hot Yoga, Goat Yoga, Bier Yoga, Anti‑Gravity Yoga, Core‑Fusion, Face Yoga – der Fokus liegt oft auf Innovation und Massentauglichkeit.

 

9. Die Lehre dahinter: Yoga mehr als Bewegung

  • Patanjalis Yoga-Sūtras bilden mit acht Gliedern (Yama bis Samādhi) die philosophische Grundlage – Asana ist nur ein Teil.

  • Im Westen wohnt Yoga oft nur im Körper statt im Bewusstsein; ethische Prinzipien und Meditation wirken optional oder fehlen ganz.

 

10. Ruhiger Geist vs. Performance

  • Indisches Yoga strebt nach innerer Ruhe (citta-vṛtti-nirodhaḥ – Yoga ist das Zur‑Ruhe‑Bringen der Gedankenflut).

  • Westliches Yoga feiert Flows, Kreislauftraining und Körperkontur – Ruhe wird oft als Add-on betrachtet 

Quelle: https://www.drishtiyogaschool.com/blog/indian-yoga-vs-western-yoga/

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